Mittwoch, 25. Juli 2007

Teil A Einleitung

1. Unsere Zeit braucht die Psychologie

In der Geschichte der Menschheit kommen und gehen die Völker und die Kulturen. Blicken wir zurück, so sehen wir, wie die kontinuierlich sich wandelnde und sich entwickelnde Menschheit den Erdball Schritt für Schritt in Besitz genommen hat und jetzt eben sich anschickt, über ihn hinaus in den Weltraum und zu den Gestirnen vorzudringen.

So imponierend dieser Prozess zunehmender Bemeisterung der uns umgebenden Welt uns erscheint - ein entsprechender Fortschritt in der Selbstbemeisterung der Menschheit hat nicht stattgefunden. Trotz aller Errungenschaften der Zivilisation, trotz zunehmender Verfeinerung unserer Lebensweise und unserer Sitten, trotz zunehmender Kenntnisse auf allen Gebieten der Wissenschaft und Technik, der Industrie, des Handels, des Verkehrs - trotz all dem sind wir in hohem Grade noch immer dieselben Menschen, die wir waren: von Ängsten bis in die Träume verfolgt; von Leidenschaften und Begierden angetrieben; von Sorgen geplagt, von Problemen und Konflikten zerrissen; von Leid und Schuld gebeugt. Noch immer vernichten wir einander in Krieg und Verbrechen. Noch immer gelingt es uns nicht, unsere Geschichte konstruktiv und kooperativ zu lenken, aufbauend in planvoller Zusammenarbeit. Und noch immer stehen wir ohne Antwort vor der ewigen Frage: Was ist der Sinn des menschlichen Daseins ?

Von jeher hat die Menschheit versucht, sich ein geistiges Werkzeug zu beschaffen - Aberglaube und Religion, Philosophie und Wissenschaft -, um die Gottheit und sich selbst zu verstehen, um sich zurechtzufinden in dieser Welt und im eigenen Innern, und um es fertigzubringen, ein gutes sinnerfülltes Leben zu führen..

Immer wieder ist diese Hoffnung der Menschheit betrogen worden. Die letzte und bitterste dieser Enttäuschungen, den Ausbruch zweier Kriege und den teilweisen Niederbruch unserer westlichen Kultur, haben viele von uns miterlebt, und zur Zeit stehen wir alle mit angehaltenem Atem vor dem überwältigenden Phänomen der ungeheuren Bewegungen, in die riesige Völkermassen über den ganzen Erdball hineingeraten sind.

Offenbar gibt es nichts, was wir dagegen tun könnten. Das einzige, was wir sinnvollerweise unternehmen können, ist, dass wird daran arbeiten, uns ein besseres Verständnis der Vorgänge in der Welt zu verschaffen, um uns einen Standpunkt zu sichern und eine Richtschnur für unser Handeln zu gewinnen, eine Lebensphilosophie.

Soweit wird dazu ein Verständnis des äußeren Geschehens in der Welt benötigen, hilft uns das, was Zeitung und Zeitschrift, Buch und Funk und Fernsehen aus allen Gebieten der Politik, der Wirtschaft, der Kultur berichten. Aber soweit die inneren Vorgänge in Betracht kommen, das, was in uns selbst geschieht, so gibt es heute nur eine sinnvolle, zuverlässige und zweckdienliche Methode, die dem Selbstverständnis und der Selbstbestimmung helfen kann: das ist die Psychologie. Und deshalb braucht unsere Zeit die Psychologie, deshalb braucht der Mensch unserer Zeit sie als die einzige Grundlage der Selbsterkenntnis und Selbststeuerung, auf die er sich verlassen kann.

In der folgenden Darstellung wird der Versuch gemacht, weiten Kreisen unserer Zeitgenossen einen Zugang zu psychologischem Verstehem und Selbstverstehen zu vermitteln und dabei auch ein Bild von dem umfassenden Arbeitsbereich der modernen Psychologie zu geben. Ihr Zweck wäre erreicht, wenn es gelänge dem Leser durch dieses Buch zu Kenntnissen und Einsichten zu verhelfen, mit deren Hilfe er sich einem Verständnis von Leben und Welt und deren großen Aufgabe der Lebensbemeisterung in höherem Maße gewachsen fühlt als vor der Lektüre dieses Buches.

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