Donnerstag, 19. Juli 2007

Japans Energiepolitik

"Unmöglich ist nur ein Mangel an Fantasie"

Von Martin Koelling, Tokio


Auf dem G8-Gipfel hat Japans Ministerpräsident Shinzo Abe seinen wohlklingenden Klimaschutzplan "Cool Earth 50" vorgestellt. Darin schlägt er unter anderem vor, durch die Zusammenarbeit aller Länder die CO2-Emissionen von heute bis 2050 zu halbieren. Technology Review sprach mit Kiyoshi Kurokawa, Abes höchstem Wissenschaftsberater und Japans ehemaligem Vertreter in der G8-Akademie, die die Länderchefs seit 2005 in Klimafragen berät, über Sinn und Unsinn ausgefallener Klimaschutzideen, die Zukunft der Atomkraft und die Notwendigkeit ambitionierter Ziele.

Technology Review: Professor Kurokawa, Ministerpräsident Shinzo Abe hat Japan in seiner "Cool Biz"-Kampagne aufgefordert, die Krawatten zum Wohle des Klimaschutzes abzulegen, und die Büros nur auf 28 Grad zu kühlen. Sie als sein Wissenschaftsberater scheinen die Kampagne allerdings nur halbherzig zu unterstützen. Sie haben zwar Ihr Jacket abgelegt, aber noch eine Krawatte umgebunden.

Kiyoshi Kurokawa: (lacht) Ich habe die Krawatte gerade erst umgebunden, weil ich zu solchen bedeutenden Gästen spreche.

TR: Wissen Sie, wer die Idee zu der "Cool Biz"-Kampagne hatte?

Kurokawa: Unsere frühere Umweltministerin Yuriko Koike, die gerade zur Verteidigungsministerin ernannt wurde, hatte die Idee zu dieser wirklich erfolgreichen öffentlichen Kampagne. Sie ist sehr kreativ, hat Vision und versteht, ihre Botschaft zu verkaufen. Ihr Team hat den kraftvollen Kampagnentitel entworfen, sie hat das notwendige Budget organisiert und eine sehr gut koordinierte Kampagne gestartet.

Jede Zeitungsanzeige wurde mit klaren Botschaften und politischer Aktion begleitet. Die Kampagne hatte daher eine große öffentliche Stoßkraft. Im ersten Jahr betrug das Werbebudget drei Milliarden Yen, aber der Werbeeffekt durch die begleitenden Artikel wird auf 70 Milliarden Yen geschätzt. Neben der Energieersparnis soll die Kampagne sogar einen direkten wirtschaftlichen Einfluß von 200 bis 300 Milliarden Yen gehabt haben. Schließlich kauften sich die Menschen beispielsweise neue, modische Hemden, da sie Krawatten und Jackets ablegen mussten ...

TR: Und wie effektiv ist für Sie der Klimaschutzkompromiss vom G8-Gipfel in Heiligendamm?

Kurokawa: Es ist nicht genügend, aber immerhin haben sich die G8-Führer darauf geeinigt. Sie müssen verstehen, dass der Prozess noch recht jung ist. Der Klimawandel wurde im Rahmen der G8 erst beim Gipfeltreffen 2005 in Großbritannien ein Thema, als der damalige Ministerpräsident Tony Blair eine wichtige Rede zum Thema Klimawandel und Afrika vortrug. Seitdem haben die G8-Akademien schon vor den Treffen ihre Aussagen an die Länderführer geliefert. Kanzlerin Merkel hat sogar die Präsidenten der G8-Akademien in ihr Büro eingeladen, um die Berichte entgegenzunehmen. Das ist ein deutliches Zeichen, wie wichtig ihr Klimawandel ist.

TR: Japans Ministerpräsident Shinzo Abe hat kurz vor dem Gipfel seine Klimaschutzinitiative "Cool Earth 50" vorgestellt, mit der er unter Einbeziehung aller Länder die CO2-Emissionen bis 2050 halbieren will. Um willigen Entwicklungsländern bei der Emissionsbeschränkung zu helfen, will Japan einen neuen Finanzierungsmechanismus errichten. Hatte Abes Initiative einen Einfluss?

Kurokawa: Mir wurde gesagt: Ja. Alle haben erwartet, dass die europäischen Nationen mit den Vereinigten Staaten zusammenrasseln. Besonders aggressivere Vorschläge wie die Senkung der Treibhausgasemissionen um 20 Prozent bis 2020 stießen auf den Widerstand der US-Regierung. Aber Abe war schon vor dem Gipfel entschlossen und hat auf seiner Amerika-Reise im April US-Präsident George Bush zu überzeugen versucht, wenigstens einen Schritt nach vorne zu machen.

Auf dem G8-Gipfel war Japans Vorschlag mit seinen langfristigen Zielen, der Einbeziehung der Entwicklungsländer und der Betonung, wirtschaftliches Wachstum und Emissionsreduzierung ausbalancieren zu müssen, für die USA leichter zu schlucken.

TR: Bush war ein starker Kritiker des Kyoto-Protokolls. Was hat Ihrer Ansicht nach seinen Stimmungswandel ausgelöst?

Kurokawa: Es hat zu einem Teil mit dem Bericht von Nicholas Stern über die Ökonomie des Klimawandels im Jahr 2006 begonnen. Selbst die großen Öl-Gesellschaften haben den Stern-Report genutzt, weil sie spürten, dass etwas getan werden muss. Diesen Januar antwortete Bush in seiner Rede zur Lage der Union, in dem er Energieeffizienz als eine seiner Top-Prioritäten nannte.

Sein Wandel spiegelt den Meinungswandel der Großkonzerne wider. Auch die Nation als ganzes bewegt sich. Unabhängig von dem, was die US-Regierung sagt, preschen viele Staaten mit manchmal sogar sehr aggressiven Plänen voran. Der Gouverneur von Kalifornien, Arnold Scharzenegger, will die CO2-Emissionen in seinem Bundesstaat bis 2050 sogar um 80 Prozent senken. Und nicht zu vergessen hat der ehemalige US-Vizepräsidente Al Gore seinen Film "An Inconvenient Truth" vorgestellt.

R: Wie bewerten Sie die Inhalte des japanischen Vorschlags?

Kurokawa: Vorab – die japanische Regierung hat die wirtschaftlichen Kosten des Klimawandels erkannt. Wenn der Meeresspiegel steigt, müssen weltweit mehr als ein Milliarde Menschen umgesiedelt werden, viele in Entwicklungsländern, aber auch Japan als Inselnation ist betroffen. Außerdem ist China vorigen Monat der weltweit größte Produzent von Treibhausgasen geworden.

Japan hält es daher für notwendig, im nächsten Verfahren anders als im Kyoto-Protokoll auch die Entwicklungsländer einzubeziehen. Und Japan hat hier etwas zu bieten. Die verarbeitende Industrie ist sehr energieeffizient. Seit der Ölkrise 1973 ist der Kohlendioxidausstoß der Industrie nahezu gleich geblieben, während die Industrieproduktion sich drastisch erhöht hat. Heutzutage ist Japans Industrie doppelt so energieeffizient wie die amerikanische und neun bis zehn Mal so energieeffizient wie die chinesische.

Ein langfristiges Ziel zu haben und gleichzeitig kollektive Aktionen zusätzlich zu den nationalstaatlichen zu betonen, kann sehr hilfreich sein, alle Länder an Bord zu bekommen. Allerdings sind einige Ziele wie der einer "Low-Carbon"-Gesellschaft, in der jeder Mensch pro Tag nur ein Kilogramm CO2 produziert, wahrscheinlich sehr schwierig zu erreichen.

TR: Einige Kritiker sagen, diese Ziele sind sogar unmöglich.

Kurokawa: Wir müssen uns sehr ambitionierte Ziele setzen. Zu sagen, dass etwas unmöglich erscheint, zeugt nur davon, dass es einem wahrscheinlich an Vorstellungskraft und Fantasie und damit einer wichtigen Funktion des Gehirns mangelt. Wenn die Umstände es erfordern, werden eine Menge Dinge möglich, die vorher unmöglich erschienen. Denken Sie an den zweiten Weltkrieg und die Atombombe. 1905 hat Albert Einstein seine berühmte Formel "E = mc2" vorgestellt, und nur vierzig Jahre später fielen zwei Atombomben auf Japan. Das war zu Beginn auch unvorstellbar.

TR: Sie erwähnen die Energieeffizienz der japanischen Industrie. Die Emissionen der japanischen Haushalte jedoch steigen stark, und die Isolierung japanischer Häuser ist sehr schlecht.

Kurokawa: Sie haben Recht. Aber die japanischen Elektronikhersteller haben sehr hart gearbeitet, den Stromkonsum von Haushaltsgeräten zu senken. Klimaanlagen sind heute mehr als vier Mal so energieeffizient wie vor wenigen Jahren, Waschmaschinen benutzen nur die Hälfte der Energie. Diese energieeffizienten und innovativen Haushaltsgeräte sollten unterstützt von einer großen Kampagne exportiert und die Technik besonders in Entwicklungsländer transferiert werden.

Ich weiß nicht, warum die japanischen Unternehmen diesen Vorteil nicht nutzen. Und im Hausbau verbessert sich die Lage. Die Stadt Tokio hat neue Isolierstandards für Neubauten eingeführt. Vorstöße wie diese können besonders in den Städten hilfreich sein.

TR: Darüber hinaus fällt es Japan, dem Heimatland des Kyoto-Protokolls, immer schwerer, die eigenen Ziele zu erreichen. Japan wollte die CO2-Emission bis 2012 um sechs Prozent unter das Niveau von 1990 senken. Doch die freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie hat nicht zu den erwarteten Ergebnissen geführt.

Kurokawa: In einem gewissen Sinne hat Japan ein Handicap, weil die Industrie bereits ein so hohes Niveau der Energieeffizienz erreicht hat. Eine Reduzierung wird künftig schwerer. Dennoch deutet dies auf einen Schwachpunkt Japans hin.

Bisher hat die Regierung zu sehr im Auftrag der Industrien agiert. Unternehmen verlieren daher vielleicht ein wenig das Gefühl für ihre Verantwortung. Manchmal muss der Staat Märkte schaffen wie bei der Sonnenenergie oder Unternehmen durch das Setzen von Regeln zum Wettbewerb zwingen. Wir müssen jetzt Regeln setzen. Japaner können sehr innovativ und kreativ sein, aber sie sind es oft nicht aus sich heraus.

TR: Ein anderer Pfeiler des japanischen Vorschlags ist die Förderung der Atomenergie. Weltweit wird diese Energieform unter dem Banner der Kohlendioxidsenkung wiederbelebt.

Kurokawa: Die Förderung der Nuklearenenergie ist nicht meine Politik, sondern die der Regierung. Sie können ja raten, welches japanische Ministerium stark involviert ist und wer die Stakeholder in der Wirtschaft oder anderen privaten Sektoren sind ...

TR: ... das Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie?

Kurokawa: Ich persönlich würde die Politik infrage stellen. Als die Atomenergie-Kommission sagte, dass ihr Ziel sei, selbst im Jahr 2050 oder 2100 30 bis 40 Prozent von Japans Primärenergienachfrage durch Atomenergie zu decken, fragte ich sie, warum. Ich habe gedacht, dass wir zuerst eine langfristige nationale Strategie festlegen und die Diskussion über den genauen Beitrag der Atomenergie zweitrangig ist.

Wir haben so viel unangezapftes Potenzial für erneuerbare Energiequellen wie geothermale Energie oder Passivhäuser. Nachwachsende Brennstoffe sind eine weitere Möglichkeit, obwohl die Verwendung von Mais nicht so toll ist wie vorhergesagt. (In dem Fall heißt die Wahl Nahrung oder Brennstoff, Essen oder Fahren.) Zellulose oder einige andere Quellen sollten überlegt werden.

Meine Meinung: Wir werden Atomkraft beibehalten müssen. Gleichzeitig müssen wir uns jedoch auf die Möglichkeit vorbereiten, dass wir sie letztlich doch nicht brauchen. Mehr noch, wir sollten uns solch ein hoch fliegendes Ziel setzen. Japan sollte das Ziel vielleicht bei zehn Prozent im Jahr 2050 ansetzen – um der technologischen Fähigkeiten und vielleicht der Exporte willen. Einige Länder werden wahrscheinlich Atomkraft brauchen, um den Kohlendioxidausstoß zu senken.

TR: Was halten Sie von dem globalen Ausbau der Atomenergie?

Kurokawa: Ich frage mich, ob der sich aufrechterhalten lässt. Wenn man die Zahl der Atommeiler erhöht, erhöht man gleichzeitig das Risiko der Verbreitung von Atomwaffen und die Ziele für Terrorangriffe. Außerdem: Wie kann man garantieren, dass Unfälle wie 1986 in Tschernobyl oder 1979 im amerikanischen Atomkraftwerk Three Mile Island niemals wieder geschehen?

Und letztlich ist die Frage der Atommüllendlagerung noch gänzlich ungelöst. Selbst der größte Atomstromproduzent USA hat sich noch nicht entschieden, was damit geschehen soll. Für die globale menschliche Sicherheit ist es wichtiger, die Millenniums-Ziele der UN wie die Halbierung der Armut bis 2015, Schulausbildung für alle oder ökologische Nachhaltigkeit zu erreichen.

Quelle: http://www.heise.de/tr/artikel/92175/1/0


R.B.´s Kommentar: Wenn Japan feststellt, dass es einen Großteil seines Energieverbrauchs aus noch unerschlossenen regenerativen Quellen beziehen kann, dann frage ich mich, welche Länder noch solche unentdeckten Schätze besitzen: die natürliche Eignung des Terrains und Klimas zur Energiegewinnung. Was wir heute als Bodenschatz bezeichnen, sind neben Dingen, die wir verarbeiten können, Dinge, die wir verbrennen können...

Eine wohlmeinende, der Menschheit im ganzen dienende Globalisierung würde sich sicher bemühen, solche Quellen zu erschließen, und den Energie-Ertrag international zu verteilen.

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