Freitag, 17. Februar 2012

Liebes Tagebuch,

herbe Enttäuschung. Leider wird die Umschulung vom Arbeitsamt nicht bezahlt. Darum müsse ich mich selber kümmern. Werde also schauen, ob ich die beiden Kapitäne in naher Zukunft aufsuche, damit sie mir mit ein paar Informationen weiterhelfen, vorher gilt es aber, die Wohnung zu sichern. Auch wenn es auf diesem Weg nicht geklappt hat, so gibt es sicherlich noch andere Lösungen für die Umschulung.

Auf der anderen Seite war ich froh, mit meinem Jobvermittler gesprochen zu haben, denn er ist sehr sympathisch + ich bin wieder um ein paar andere Informationen reicher:
  • Hier in Emden und Umgebung liegt der Arbeitsmarkt für gewisse Berufssparten zu ca. 60% in der Hand von Zeitarbeitsfirmen.
  • Ich bräuchte mir da auch keine Illusionen machen, dass sich das so schnell ändert.
  • Wenn ich also nach Indonesien zurück will, muss ich mir ein Grundkapital erarbeiten, und das ist in Ostfriesland fast unmöglich.
  • Dazu müsste ich schon nach Hamburg, in den Ruhrpott, nach Baden-Württemberg oder nach Bayern ziehen.
  • Selbst Berlin sei nicht so strukturstark, wie ich angenommen habe.
Zum Glück hat er mir für Montag einen Termin gegeben, um mich um Weiterbildungsmaßnahmen im Elektro/Elektronikbereich auf dem Gelände der Nordseewerke (Ausbildungsstätte) zu bemühen.

Weiterhin hat er mich in einer Sache korrigiert:
  • Natürlich gibt es ein bundesweites Arbeitsregister, auf das alle Arbeitgeber zurückgreifen können. Auch ich bin dort registriert (aber sehr wahrscheinlich hat sich noch keiner gemeldet, weil meine Vita bezüglich meiner technischen Fähigkeiten und Kenntnisse einfach zu schlecht ist).
Glücklicherweise habe ich hier in Ostfriesland, auch wenn es bei mir sehr lange gedauert hat, mittlerweile gelernt, die Dinge mit ein wenig mehr Humor und stoischer Ruhe hinzunehmen. Auch habe ich mich sogar gedanklich schon fast (!) abgefunden, Angebote von Zeitarbeitsfirmen anzunehmen, es bleibt nur noch dieser Unsicherheitsfaktor, wie man als Zeitarbeiter behandelt wird.

Dazu passt es gut, dass ich bei der Post mit zwei Herren, beide 55 Jahre alt, mich mal ein wenig unterhalten habe. Beide hatten lange auf der Werft hier in Emden gearbeitet, und sie konnten alles sehr gut nachvollziehen, was ich so auf der Meyer-Werft erlebt habe.
  • Der internationale Schiffsbau liegt vornehmlich in asiatischer Hand, auch wenn die Qualität mehr als zu wünschen übrig lässt => keine Doppelwand des Schiffsrumpfs, schlechte Verarbeitung, schlechte Maschinenmotoren uvm.
  • Von diesem Qualitätsmangel hat mir auch schon ein Matrose am Seemannsheim erzählt, dessen Schiff ungewöhnlich lang im Dock verweilte aufgrund sehr schlechter Materialverarbeitung.
Diese erdrückende Vormachtstellung ist nur deshalb möglich, weil die Löhne dort derart gedrückt werden, dass Europa bis auf ein paar wenige Ausnahmen nicht mitkommen kann.
  • Und diese Ausnahmen sind hier in Deutschland u.a. Hamburg, Rostock und Papenburg => aber alle tendieren dahin, diese Verhältnisse zu kopieren: es werden immer mehr Zeitarbeiter eingeschleust, um die Löhne und Sozialabgaben zu drücken.
  • Einer meinte sogar, dass nicht nur die Meyer Werft selber interne Zeitarbeitsfirmen unterhält. 
Aber warum ist das so ? (... ich glaube, die beiden haben meine Naivität verziehen, weil ich noch nicht so lange im Geschäft bin ...).
  • Ist doch klar, meint der eine, dann braucht der Hauptarbeitgeber nach der Entlassung keine Abfindung, keine Sozialleistung etc. bezahlen, die Verantwortung liegt also dann bei den Zeitarbeitsfirmen und Kommunen.
Und warum stehen auf den Toiletten der Meyer-Werft immer Sprüche, die darauf abzielen, dass die feste Belegschaft, hier Meyer-Handwerker, immer einen auf lau machen, mit den Händen in den Taschen rumstehen, während die Zeitarbeiter malochen.
  • Auch das sei normal, meinte der andere, das wäre auf den Nordseewerken auch nicht anders gewesen.
Im weiteren Verlauf machten sie mir klar: ich kann ein zuverlässiger, fleißiger und netter Arbeiter sein, aber weit komme ich hier trotzdem nicht. Wenn ich wirklich etwas erreichen wollte, sollte ich nach Süddeutschland gehen, ohne wenn und aber. Dann ging der eine, und das Gespräch ging weiter.

Das war dann auch höchst interessant, wie ein ehemaliges Einzelkind, eine Familie mit fünf Kindern gründet und in einer mittlerweile 27jährigen Ehe durch Höhen und Tiefen geht. Sollte er sich jemals von ihr trennen, gäbe es keine andere zweite Frau in seinem Leben.
  • Einer von seinen Söhnen studiert sogar in Stuttgart in der IT-Branche mit guten Noten, ist aber zu faul, um seinen Lebensunterhalt selber zu bestreiten. Es herrsche Funkstelle zwischen ihm und dem Vater, weil dieser ihn finanziell nicht länger unterstützen kann. 
  • Der andere wiederum ist Koch, viel bodenständiger und kein "Muttersöhnchen".
Zwischendurch haben wir auch kurz über den scheidenden Bundespräsidenten geredet. Als er zum ersten mal im Fernsehen gehört hatte, wie CW private Gelder von einem "Freund" bekommen habe, sagte er nur zu seiner Frau:
  • "Renate, schalt' bloß ab, so was kann ich nicht sehen !"
Danach über Alkoholismus unterhalten:
  • Entzug, war trockener Alkoholiker über Jahrzehnte, es reichte aber ein Bierchen, um wieder in den Teufelskreislauf zu kommen bis zum nächten Entzug. Mittlerweile ist er wieder trocken.
Noch über vieles unterhalten => bin sehr zufrieden und zuversichtlich, da ich mal wieder drei Sachen erkannt habe:

Ich bin nicht der Einzige der zu kämpfen hat, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat, längerfristig kannst du in Deutschland nicht planen, wenn du dich nicht in der Mittelschicht befindest.
  • Und selbst dort nehmen die Härten des Lebens nicht ab, aber sie haben doch ein wenig mehr Möglichkeiten zum Zugang zu Bildung und zur Bildung von Rücklagen.
So langsam muss ich erkennen, wo ich stehe:
  • Ich stehe genau in der Mitte, es ist noch alles drin, es kann aber auch abwärts gehen.
Ich muss lernen, dass nicht alles vom Geld abhängig ist,
  • auch wenn ich von vielen Zeitgenossen noch geliehenes Geld bekommen müsste.
Zum Schluss gab mir der sehr interessante Zeitgenosse einen guten, persönlichen Rat und Spruch mit auf dem Weg, den ich heute zum ersten mal gehört habe: 
  • "Du sollst die Kirche verlassen, bevor du anfängst, zu singen !"
    * * *

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